Was Politik von Wirtschaft lernen kann mit Ralf Lottermann und Leif Neugebohrn

Was die Politik von der Wirtschaft lernen kann

Politik und Wirtschaft unterscheiden sich in vielen Bereichen – oft gerade auch in der Arbeitsweise und in der Art zu denken und im grundsätzlichen Mindset. Aber was könnte die Politik von der Wirtschaft lernen? Was sollten sich Politiker und Parteien von Managern und Unternehmern abgucken? Wie können Politik und Verwaltung besser zusammenarbeiten? Darüber geht es in der neusten Folge unseres Podcasts.

Das Thema: Aus der Wirtschaft in die Politik

Wer in der Wirtschaft erfolgreich ist, hat oft ganz bestimmte Arbeits- und Denkweisen. Zielorientierung, Fleiß und Kundenorientierung gehören ganz bestimmt dazu. In der Wirtschaft werden oft schnelle Entscheidungen getroffen und dann – im besten Falle – nach einem Plan umgesetzt. Politik dagegen ist oft viel zäher, langsamer. Prozesse funktionieren anders. Kann die Politik also etwas von der Wirtschaft lernen? Wie lassen sich diese Arbeitsweisen auf die Politik übertragen? 

Was ein Top-Manager und Unternehmer dazu sagt

Über dieses spannende Thema sprechen in dieser Ausgabe unseres Podcasts unsere beiden Gründer und Geschäftsführer Ralf Lottermann und Leif Neugebohrn. Ralf Lottermann kann auf eine lange Karriere als Manager und Unternehmer blicken. Er war Mitglied des Konzernvorstands von Mars Inc., war CEO eines amerikanischen Getränkeunternehmens, ist Mitglied in verschiedenen Aufsichtsräten und ist als Unternehmer an mittelständischen Firmen in Europa beteiligt. Seit zwei Jahren ist er nun auch politisch engagiert und Mitglied des Rats der Stadt Worms. Leif Neugebohrn kommt als Politik- und Strategieberater aus dem politischen Bereich und hat Erfahrung in unzähligen Wahlkämpfen und politischen Projekten gesammelt.

Transkript: Der Podcast mit Ralf Lottermann und Leif Neugebohrn

Dies ist ein wörtliches Transkript der Podcast-Folge.

Was können Parteien und Politiker von der Wirtschaft lernen? Wie arbeitet ein Top-Manager und was davon kann er mit in die Politik nehmen? Und was würde er politischen Kandidaten raten? Darüber spreche ich heute mit Manager und Unternehmer Ralf Lottermann.  

Einleitung und Begrüßung

Leif Neugebohrn: Moin, Moin! Schön, dass ihr wieder bei dieser Ausgabe mit dabei seid, bei unserem Magnecon Podcast für Kommunikation und Kampagnen. Ja, ihr habt richtig gehört, wir nennen das Ding so langsam um von Überzeugungsarbeit zu Magnecon. Das ist ja unsere Agentur. Der Hintergrund ist ganz einfach: Wir wollen so langsam die Themen öffnen und breiter machen und nicht nur über Politik und Wahlkampf sprechen, sondern auch über Marketing, über Business und das miteinander verknüpfen. Ich glaube, das wird eine ganz spannende Sache für euch. Von daher, wenn ihr bisher unserem Podcast gefolgt seid, dann werdet ihr das auch in der Zukunft bestimmt spannend finden und noch spannender finden. Ich bin Leif Neugebohrn, ich bin Kommunikations- und Strategieberater und ich bin Geschäftsführer von Magnecon. Ich habe in den vergangenen Ausgaben hier ja immer mit Florian Stenner gesprochen, der ist Projektmanager bei uns. Heute haben wir ein etwas anderes Setting. Die Agentur Magnecon, die habe ich ja vor einigen Monaten gemeinsam mit einem sehr, sehr starken Partner gegründet, nämlich mit Ralf Lottermann. Und genau der ist heute bei dieser Ausgabe auch mit dabei. Moin, Ralf! Schön, dass du da bist. 

Ralf Lottermann: Hallo Leif! Ich freue mich drauf. 

Leif Neugebohrn: Vielleicht zur Transparenz, ich hab‘s ja schon gerade gesagt, wir haben zusammen Magnecon gegründet. Du bist nicht nur Gründer, du bist auch Mitgeschäftsführer bei uns. Vielleicht einfach für die Zuhörerinnen und Zuhörer, einfach eine kleine Vorstellung mal. Du bist Sozialdemokrat, du bist Unternehmer, du bist Manager, du bist auch Politiker. Du warst als Unternehmer und als Top-Manager, so kann man das, glaube ich, sagen, auf der ganzen Welt unterwegs. Erzähl doch einfach mal deine Geschichte! 

Ralf Lottermann: Manager, Unternehmer, Politiker

Ralf Lottermann: Danke Leif! Ich werde erst mal kurz probieren. Ich bin in Worms geboren in einem kleinen Vorort, vor 66 Jahren. Ich habe dann Abitur gemacht, das erste Abitur in unserer Familie, dann studiert. Und mit 16 bin ich allerdings vorher in die SPD eingetreten, also vor genau 50 Jahren, Zeit vom Willy Brandt. Nach dem Studium habe ich bei Mars angefangen, Mars Schokolade, Tiernahrung, Uncle Ben’s und Kaugummi. Heute ungefähr 100.000 Mitarbeiter, 35 Milliarden Umsatz. Bei Mars habe ich mein ganzes Leben verbracht in der Wirtschaft eigentlich und bin nach ungefähr 30 Jahren wieder ausgeschieden. Ich habe es geschafft, am Ende, die letzten paar Jahre war ich im Konzernvorstand, also im weltweiten Vorstand, habe in Singapur gelebt und war für Australien und China und Asien zuständig. Ich bin dann nach meiner Karriere bei Mars 2016 nach Worms zurückgekommen. In der Zwischenzeit habe ich hier und da Aufsichtsratsposten gehabt, habe ich auch heute noch, und mich weiterhin engagiert. Ich bin auch beteiligt an einer Firma in der Schweiz, einer mittelständischen Firma. 2016 kam ich nach Worms zurück und da wollte ich mich gleich politisch engagieren, in der Partei war ich ja, und habe mich dann gemeldet und gesagt: Ich würde gerne in den Stadtrat gehen. 

Eigenes politisches Engagement: Warum ein Manager in den Stadtrat will

Leif Neugebohrn: Ja, wahnsinnig spannend. Das ist ein Weg, also ich fand ihn, als ich ihn das erste Mal gehört habe, wir haben uns jetzt kennengelernt vor etwas mehr als zwei Jahren, fand ich den hoch beeindruckend und sehr spannend. Und dass du dann auch noch eben danach ein politisches Engagement wieder anfängst, finde ich wirklich großartig. Das war ja auch so der Moment, wo wir uns kennengelernt haben. Das erinnere ich noch ganz gut. Du hast mich irgendwann, vor etwas über zwei Jahren, angeschrieben und gesagt: Mensch, ich will hier in den Rat einer Stadt, nämlich der Stadt von Worms. Ich habe nicht so wirklich Wahlkampferfahrung und kannst du helfen? Da war das dann so der erste Moment, wo wir mal miteinander damals noch geskypt haben, nicht gezoomt. Die erste Frage, die ich mich damals, als ich diese Anfrage gekriegt habe von dir, als Erstes gestellt habe, war: Warum will dieser Mann unbedingt in den Rat? Das ist ja irre. Also was war so deine Motivation? 

Ralf Lottermann: Ich wollte eigentlich gerne meiner Stadt, meinem Herkunftsort etwas zurückgeben. Denn man muss eines sehen, Leif, die SPD steht für Aufstieg durch Bildung und ich bin da ein typisches Beispiel. Ich habe Bafög bekommen, das habe ich bekommen, weil die SPD das eingeführt hat. Meine Eltern haben mich stark unterstützt, so gut sie konnten. Ich habe dann eine tolle Karriere gemacht und auch gutes Geld verdient. Ich dachte, jetzt habe ich Zeit, bin zurück in Deutschland, jetzt möchte ich mich gerne einbringen, und habe bei der SPD dann auch gleich in den Vorstand, in einem Ortsverein habe ich mich eingebracht und gefragt: Wollt ihr mich als Kandidaten für den Stadtrat? Und die haben gesagt: Super! So einen wie dich hätten wir gerne. Dann habe ich mich aufstellen lassen. 

Rückschlag: Ein enttäuschender Listenplatz

Leif Neugebohrn: Wahnsinn! Aber diese Aufstellung, das war dann ja trotzdem nicht so ganz, wie du dir das vorgestellt hast? 

Ralf Lottermann: Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass es in der Politik doch ein bisschen anders läuft wie in der Wirtschaft. In der Wirtschaft will man einen guten Mann haben und wollen den unbedingt haben, und dann setzen wir alles dran, dass der auch wirklich kommt und bei uns das abliefert, was er versprochen hat. Bei der Aufstellung der Kandidaten habe ich festgestellt: Wir haben natürlich einen Proporz zwischen Frauen und Männern. Wir haben die jetzigen Stadtratsmitglieder, die müssen auch berücksichtigt werden. Wir wollen viele Junge haben, die sollen auf gute Plätze. Wir haben die Ortsteile von Ibersheim bis Rheindürkheim bis Abenheim, die müssen auch berücksichtigt werden. Ja, und am Schluss, da musste ich mich noch bedanken, dass ich Platz 36 hatte. Wir haben aktuell 14 Sitze im Stadtrat. Also da war ich sehr enttäuscht, dass ich nicht auf einen der vorderen Plätze gekommen bin. Weil man musste jetzt mich in der langen Liste von 52 Kandidaten, da muss man erst mal den Ralf Lottermann suchen, bis man dahinkommt auf Platz 36. Da dachte ich mir, das gefällt mir gar nicht, und wollte eigentlich aufgeben. Dann dachte ich mir: Nein! Ich werde den allen zeigen hier in Worms, wie man einen professionellen Wahlkampf macht und werde mich da richtig einbringen. Und habe dich gefunden und habe zu dir gesagt so: Das ist ganz schwierig, aber wir werden das mal packen. Und das haben wir gemacht. 

Die Herausforderung: Ein ganz besonderer Wahlkampf

Leif Neugebohrn: Absolut! Vielleicht auch noch mal zur Beschreibung. Die Herausforderung war in der Tat extrem, weil das Wahlsystem in Rheinland-Pfalz ist dieses sogenannte Kumulieren und Panaschieren. Das bedeutet, dass die Liste, die die Partei dort aufgestellt hat, halt nicht fix ist, sondern durch das Wahlergebnis verändert werden kann. Und die Wählerinnen und Wähler haben dann die Möglichkeit, bei einzelnen Kandidaten ihre Kreuze zu machen. Allerdings der Einfluss, den der einzelne Wähler hat, ist sehr gering. Also in Worms war es so, jeder Wähler hatte tatsächlich 52 Stimmen und konnte aber für einen einzelnen Kandidaten maximal 3 Stimmen vergeben. Also selbst, wenn ein Wähler gesagt hat, ich wähle dich Ralf, dann war dessen Einfluss auch im Vergleich der Wahl immer noch relativ gering. Das zweite Problem, was wir einfach hatten, du warst seit 2016 erst in Worms. Und natürlich, du hattest da deinen Freundeskreis und in der Partei kannten dich jetzt auch schon ein paar Leute, aber ansonsten natürlich tendenziell eher weniger Leute. Das ist ja ganz normal. Jetzt war die Herausforderung eben, innerhalb von einer extrem kurzen Zeit, also vielleicht noch mal für den Hinterkopf, du hast dich bei mir, wenn ich das richtig im Kopf habe, Ende Februar gemeldet, die Wahl war Mitte Mai oder Ende Mai. Das ist eine superkurze Zeit. Die Herausforderung, die wir dann hatten, war eben, innerhalb kürzester Zeit dich bei möglichst allen Wormserinnen und Wormsern bekannt machen, und bei denen auch eine Message zu hinterlassen. Also dass die wissen ganz genau: Wofür steht der Mann? Warum sollte ausgerechnet dieser Mensch, den ich grad noch nicht kannte, in den Stadtrat? Was habe ich davon? Das war so die Basis, die wir da gemacht haben. Wir haben ja auch, wie ich finde, kannst du ja noch mal erzählen, was wir für eine Message am Ende hatten, aber ich finde, wir hatten eine sehr starke Hauptargumentationslinie. 

Ralf Lottermann: Ja, Leif, ganz klar. Mir war gar nicht bewusst, wie schwierig das Ganze werden wird. Deswegen bin ich erst so spät zu dir gekommen. Aber du hast recht, ich bin seit 1990 im Ausland gewesen, ich war 26 Jahre im Ausland, von Frankreich, Polen, Singapur und 15 Jahre in den USA. Natürlich habe ich nicht in Worms eine Bekanntheit gehabt, eigentlich kaum. Das mussten wir wegkriegen. Da haben wir uns überlegt: Wie machen wir das? Was habe ich als Ralf Lottermann anzubieten? Und warum will ich überhaupt in die Politik? Und das müssen wir erläutern und glaubwürdig und authentisch darlegen. Das haben wir geschafft. Denn ich habe gesagt: Ich möchte meine Erfahrungen aus dem Management, ich will mich ja nicht immer Top-Manager nennen, aber aus dem Management, ich habe viele, viele verschiedene Management-Jobs im Laufe meiner Karriere gehabt, die will ich einbringen. Weil ich glaube, die Politik kann es vertragen, dass man etwas professioneller arbeitet. Und das haben wir umgesetzt im Wahlkampf. Unser Slogan war, und ich sag unser, weil ich habe mit Leif wirklich da ganz eng zusammengearbeitet, „Politik in Worms verändern“. Und das mussten wir belegen durch meine Person, meine Geschichte, meinen Background und meine Ideen, was ich in Worms verändern will. Und das haben wir so erfolgreich geschafft, dass ich von Platz 36 auf Platz 11 gekommen bin, was fast noch nie da war. 

Leif Neugebohrn: Ich weiß noch, eine Zeitung hat danach dann berichtet, wie haben die das gesagt, von der medialen Omnipräsenz des Ralf Lottermanns. 

Ralf Lottermann: Genau! 

Leif Neugebohrn: Das war in der Tat ziemlich cool und ich habe danach auch ganz viele Rückmeldungen aus, ja, letztlich aus ganz Deutschland gekriegt von Leuten, die das verfolgt haben. Ich erinnere mich noch ganz gut, dass ich mit jemandem aus Schleswig-Holstein über Facebook gechattet habe und dann irgendwie am Rande das erwähnt hatte, dass ich das mit dir zusammen gemacht habe, und dann ist aus ihm so rausgebrochen: Ach, das warst du? Den Wahlkampf habe ich immer verfolgt. Das war echt, das hat super Spaß gemacht, weil wirklich so einen Wahlkampf mal so richtig durchzuziehen. Du hast auch innerhalb kürzester Zeit da Inhalte dann erarbeitet ohne Ende. Das war schon cool. Aber lass uns doch mal drüber reden, du kommst aus der Wirtschaft, bist jetzt kommunalpolitisch aktiv. Was mich immer so wahnsinnig interessiert, ist, mal darüber zu sprechen, was konntest du aus der Wirtschaft eigentlich mit in die Politik nehmen? Und ganz ehrlich auch, wie fühlt sich für dich jetzt Politik so aus dieser Managersicht an? 

Wie sich Kommunalpolitik für einen Manager anfühlt

Ralf Lottermann: Mir haben viele, als ich mich beworben hatte beziehungsweise als ich im Stadtrat reingekommen bin, haben mir viele gesagt: Oh! Warum tust du dir das an? Du bist doch ein ganz anderes Arbeiten gewöhnt. Und mir war klar, dass mein Frustrationslevel schon irgendwann bald mal erreicht werden würde. Und das war auch so. Auf der anderen Seite, ich bin hier reingekommen, weil ich was anders machen will und weil ich mich einbringen will. Das versuche ich auch nach wie vor. Und ich denke, das klappt auch ganz gut. Wenn ich mal sage, was könnte die Politik lernen? Was mich sehr stört, ist ganz häufig die Qualität der Vorlagen. Mir fehlt oft die stringente Begründung und auch der überzeugende Eintritt, dass die Verwaltung sagt, das wollen wir, das empfehlen wir, das glauben wir, ist das Richtige. Ich habe immer den Eindruck, es gibt eine Angst, Verantwortung zu übernehmen und ja nichts Falsches sagen, ja nichts Falsches machen. Da glaube ich, können wir uns einbringen als Politiker und der Verwaltung wirklich mehr Mut geben, auch klar Position zu beziehen. Aber generell nervt mich, dass die Vorlagen häufig nicht sehr gut geschrieben sind, auch Anträge von anderen Fraktionen. Da fehlt mir die Klarheit. Ich habe in der Wirtschaft immer gesagt: Wenn ich eine Projektbeschreibung bekomme, dann fange ich oben an zu lesen und wenn ich unten am Ende bin, dann weiß ich, warum wir es machen, was es bringt und was es kostet, und habe keine großen Fragen mehr. Das erwarte ich von einer Vorlage. Und das ist von dem, was ich hier bisher in der Politik gesehen habe, überhaupt nicht der Fall. 

Über zielorientiertes Arbeiten in Politik und Wirtschaft

Leif Neugebohrn: Aber was mich da mal interessieren würde, also das ist ja so ein Punkt, über den denke ich auch schon seit vielen Jahren nach, also mir geht’s ganz genau wie dir, dass mich häufig die, was du jetzt Qualität der Arbeit und so nennst, dass das ein Riesenproblem ist. Das ist ja also nicht nur bei Verwaltung oder bei Vorlagen, sondern grundsätzlich bei der Frage, wenn auch wirklich die politischen, also die Mandatsträger Ideen entwickeln, dass das häufig sehr, ich will jetzt nicht sagen, oberflächlich ist, aber eben nicht so zielorientiert, wie man das vielleicht haben wollen würde. Die Frage ist ja: Warum ist das eigentlich so in der Politik? Also in der Wirtschaft scheint es ja normal zu sein. Ich hoffe, es jedenfalls, dass es auch in anderen Wirtschaftsbereichen so normal ist. Aber warum ist das in der Politik so? Was glaubst du? 

Ralf Lottermann: Ich hoffe, dass es nicht überall so ist. Und ich sehe bei uns auch, dass es besser wird. Und wie kann man das abstellen? Ja, durch harte Arbeit. Ich habe in meinem Berufsleben immer eines gemacht, Leif, und du lachst, aber das ist tatsächlich so, ich habe gesagt, Leading by Example, Führen durch Beispiel. Ich habe immer mindestens die Qualität abgeliefert, die ich von meinen Mitarbeitern erwartet habe. Ich habe immer sehr hart gearbeitet. Weil ich bin kein Genie, dass mir alles zufliegt. Was jetzt in Worms angeht, ich habe eine ganze Reihe von Anträgen schon verfasst. Und zu manchen bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin ja eigentlich der Wirtschaftsfachmann, aber irgendwie hat man jemand gesucht, der was über wiederkehrende Beiträge macht und den Antrag schreibt. Da habe ich mich tagelang eingearbeitet, sonst geht das nicht. Ich habe gelesen, was andere Städte in Schleswig-Holstein oder sonst wo gemacht haben und habe mich damit auseinandergesetzt und habe das dann umgesetzt für Worms. Und das habe ich in einer ganzen Reihe von Anträgen schon gemacht. Und wenn man das macht, die dann gut vorträgt und sich da auch auskennt, dann merken das die anderen auch und dann ist es für die Verwaltung auch einfacher, das umzusetzen. Hinzu kommt, ich finde, wir müssen mit der Verwaltung zusammenarbeiten. Deswegen spreche ich mit denen, bevor ich einen Antrag rausschicke. Wo die dann einfach den vor das Hirn geknallt bekommen und sagen, mach‘s oder lass es sein. Also ich versuche die Leute einzubinden. Und so arbeitet man in der Wirtschaft. Wenn man ein Meeting macht, wo man Entscheidungen treffen will, dann ist in der Regel vorher schon abgeklärt, wo sind die großen Stolpersteine, und denen versucht man aus dem Weg zu gehen. Und dann wird das Meeting effizient und man trifft eine Entscheidung. Und das müssen wir in der Politik auch machen. 

Respekt vor der Kommunalpolitik!

Leif Neugebohrn: Absolut! Ich glaube, da fehlt häufig auch viel Wissen und viel Schulung und so. Jetzt ist natürlich auch noch ein Problem, das muss man jetzt einfach mal fairerweise dazusagen, dass gerade die Kommunalpolitik in Deutschland natürlich so geregelt ist, dass die immer ehrenamtlich gemacht wird. Und nebenbei, also jetzt nicht die Verwaltung, das ist klar, aber eben die, das ist ja mehr der wichtigere Teil, die Politikerinnen und die Politiker. Und jetzt ohne, dass heute hier weiter auszuführen, glaube ich, dass man tatsächlich auch darüber nachdenken muss, dieses kommunalpolitische System irgendwann noch mal auf andere Füße zu stellen. Also insbesondere so auch Fraktionsvorsitzende und Sprecher, und die haben ja teilweise ein Arbeitsvolumen, was man neben einem normalen Job eigentlich kaum schaffen kann. Das finde ich immer ziemlich krass. Also das so ein bisschen zur Ehrenrettung. Wir haben beide ja einen Riesenrespekt vor dem, was da passiert, aber wir sehen halt auch die Probleme. Das ist so ein bisschen ja der Grund. Was ich vielleicht noch reinbringen wollen würde, ich war viel in den USA und in Kanada unterwegs, und da ist natürlich Politik ganz anders aufgestellt, die ist hoch professionalisiert, häufig viel zu krass professionalisiert, finde ich. Also ich will keine Amerikanisierung des deutschen politischen Systems, um Gottes Willen. Aber auch da, glaube ich, könnte man noch trotzdem sich wenigstens ein bisschen was abschneiden, ein bisschen was Lernen von, wie Politik professionalisiert werden kann. Hattest du in den USA, also wie hast du Politik in den USA wahrgenommen? Du hast ja, ich glaube, 13 Jahre, sagtest du, in Washington gelebt, in Virginia. Wie hast du das so wahrgenommen? Ist das da so die ähnlichen Probleme, oder? Du warst da jemand, der von draußen draufgeguckt hat. 

Thema Fundraising und Politik in den USA

Ralf Lottermann: Ja, ich war 16 Jahre da. Allerdings muss ich eins sagen, Leif, ich war zwar dort, aber ich bin meistens in der Welt rumgeflogen und habe also zum Beispiel von Kommunalpolitik fast nichts mitbekommen. Ich habe natürlich Gouverneurswahlen oder Präsidentenwahlen verfolgt, und das möchte ich hier wirklich nicht haben, was da abgeht. Vor allem den Wahlkampf vom Trump habe ich eng verfolgt, da war ich ja noch da. Also das brauchen wir uns da nicht abzugucken. Aber ansonsten, was natürlich in Amerika viel, viel besser läuft, und das krankt bei uns ein bisschen, ist das ganze Thema Fundraising. Bei uns haben die Politiker, deswegen kommen vielleicht auch nicht so viele richtig rein in die Politik, weil es halt viel Geld kostet. Jeder Politiker muss einen großen Teil seines Wahlkampfs selber bezahlen. Das wissen viele gar nicht. Und davor schrecken einige zurück. Und in Amerika gibt es da ein sehr professionelles Fundraising, wo eben es ganz normal ist, dass man Spenden einsammelt und die sind da auch sehr weit vorangeschritten, und daraus finanzieren sich sehr viele. Das könnten wir, in Deutschland irgendwie müssten wir das besser hinbekommen, um dann auch eine breitere Basis für potenzielle Politiker zu bekommen. Ich glaube, das ist ein großer Hinderungsgrund. Aber ansonsten von der Kommunalpolitik in den USA weiß ich wirklich nichts. Dafür habe ich zu wenig Alltag dort erlebt und eigentlich nur gearbeitet oder gereist. 

Leif Neugebohrn: Ja, kann ich mir gut vorstellen. Das mit dem Fundraising ist in der Tat auch ein Thema, da haben wir beide auch schon oft darüber gesprochen, wo ich mich frage, wie man das in Deutschland noch stärker pushen kann. Also die Techniken sind ja alle da. Ich versuche das auch immer viel bei meinen Kundinnen und Kunden, bei unseren Kundinnen und Kunden inzwischen, das Thema anzubringen. Es gibt eine Riesen…, ja, so Berührungsängste. Ich glaube, in Deutschland ist es halt sehr, sehr schwer nach Geld zu fragen. Und da tun sich viele echt schwer mit. Aber ich glaube tatsächlich, dass es so das kommende Thema ist. Weil ich habe immer Angst, dass damit dann irgendwann die Falschen anfangen und man sieht halt an Wahlkämpfen, wenn plötzlich Budget da ist, was möglich ist. Und wenn dann die Falschen dieses Budget plötzlich hätten, das wäre echt ein Drama. Das hat man ja in den USA mit Trump gesehen, was passieren kann.

Mehr unternehmerisches Denken in die Politik

Leif Neugebohrn Lass uns noch mal zurückkommen auf so diese Kombination von wirtschaftlich arbeiten, oder wirtschaftlich ist da der falsche Begriff, also unternehmerisch arbeiten und Politik. Ich habe häufig so das Gefühl, dass es in der Politik an unternehmerischem Denken fehlt. Also du kannst ja gleich mal aus deiner Perspektive das beschreiben, wie das ist. Aber ich bin inzwischen ja auch Unternehmer und ich war lange selbstständig und für mich war immer klar, dass der Grundsatz erst mal gilt, von nichts kommt nichts. Also man muss sich Dinge immer hart erarbeiten, das ist in der Tat so. Ja. Aber auch, dass man frühzeitig Weichen stellt, dass man Strategien entwickelt, dass man sich Ziele setzt, all diese Sachen. Das ist ja so klassisch für unternehmerisches Denken. Und das ist tatsächlich in der Politik auf mehreren Ebenen, finde ich, nicht vorhanden. Also auf der einen Seite so organisatorisch, also wie Politikerinnen und Politiker auch sich selber aufstellen und wie sie arbeiten, aber auch inhaltlich nicht. Also wir haben das jetzt ja in der Coronakrise, finde ich, total krass gemerkt. Also wir haben ja immer noch eigentlich keine echten Lösungen außer dem Impfstoff erarbeitet. Da wird geraten, Fenster aufzumachen und irgendwas, anstatt mal wirklich zu gucken, wie können wir Schulen umbauen. Innerhalb von einem Jahr sollte das eigentlich möglich sein. Wie können wir Schule als System umbauen, dass es funktioniert? Also dieses unternehmerische Denken fehlt. 

Ralf Lottermann: Was ich dazu sagen kann, Leif, es ist ganz klar, in Unternehmen bist du nur dann erfolgreich, wenn du eine Strategie hast, eine Vision, wo will ich hin. Wo will ich mit meinem Unternehmen in den nächsten fünf Jahren hin? Was sind die großen Herausforderungen am Markt, die auf mich zukommen, und wie kann ich denen begegnen? Und in der Politik denke ich oft, da sind wir immer dabei, Löcher zu füllen und Probleme, die heute da sind, zu lösen, und dann kommt das nächste Morgen. Aber die große Linie, wo will die Stadt Worms hin, wie wollen wir uns entwickeln, die ist in Teilbereichen da, aber mit Sicherheit nicht so, dass die Bürger in Worms das verstehen. Ich habe immer erwartet von, das war jetzt ein bisschen spaßig gemeint, wenn ich einen meiner Mitarbeiter nachts um 12 wecke und sage ihm, was sind die Prioritäten von unserer Firma die nächsten fünf Jahre, dann weiß der das. Dann weiß der das, weil er überzeugt davon ist und weil er es auch glaubt. Man muss ganz klar sagen, es gibt einen Unterschied zwischen Strategien und Träumen. Strategien sind machbar. Das heißt, wenn ich eine Strategie für die Stadt Worms auf den Tisch lege, dann muss ich auch wissen, wie ich dahinkomme, und das muss ich auch kommunizieren können. Die Leute müssen immer das glauben, weil sie sagen: Oh! Das macht Sinn und ich glaube, die können das packen. Und in unserem Koalitionsvertrag mit der CDU haben wir einen Worms-Plan entwickelt, da haben wir eine ganze Reihe von solchen Bausteinen entworfen. „Wohnen am Rhein“ ist ein ganz großes Thema. Sozialer Wohnungsbau, immer 25 %, egal wo gebaut wird. Mobilität, Digitalisierung, mein erster Antrag im Stadtrat war „Digitales Netzwerk Worms“, dass wir einen Digitalisierungsbeauftragten brauchen, den haben wir jetzt gekriegt, und dass wir mit der Hochschule und dem EWR eine Strategie aufbauen, wie wir Worms digitaler machen können. Also da gibt’s eine ganze Reihe von Dingen, die kann man tatsächlich in die Politik übertragen aus der Wirtschaft. Aber dazu braucht es Engagement, Ideen und harte Arbeit. 

Strategie und Träumen: Wir brauchen beides!

Leif Neugebohrn: Ich fand gerade, also diese Gegenüberstellung von Strategie und Träumen fand ich grad großartig. Du hast recht, also das ist ein großer Unterschied die beiden Punkte. Ich würde aber fast sagen, es braucht ja beides. Und beides sehe ich häufig in der Politik eben nur schwierig. Also ich erhoffe mir immer, also jetzt nicht nur im Rahmen der Kommunalpolitik, sondern natürlich ganz besonders auch in der Landes- und Bundespolitik, ich erhoffe mir immer politische Vertreterinnen und Vertreter, die diese Träume haben, die Visionen haben, auch wenn ja angeblich Helmut Schmidt gesagt haben sollte, also wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Das halte ich für Blödsinn. Wir brauchen diese Visionen, wir brauchen diese Träume. Und dann aber her zu gehen und eine Strategie zu entwickeln, wie wir in einem bestimmten Zeitraum möglichst viel uns in Richtung dieses Traumes wenigstens entwickeln können, um dann die konkreten Schritte zu haben. Das ist etwas, also du weißt ja inzwischen, wie ich strategisch arbeite, wie ich politisch arbeite, das ist ja genau das, was ich versuche, immer umzusetzen. Und ich würde mir so wünschen, dass das passiert. Ich gucke grad so ein kleines bisschen neidisch in die USA mit Joe Biden, der da ja in den ersten 100 Tagen ein ganzes Feuerwerk gezündet hat von solchen Sachen, wo ich immer nur denke: Boah, krass! Wie cool wäre das, wenn wir genau sowas in Deutschland auch hätten und nicht nur immer darüber zu reden eigentlich, was geht nicht. Also das ist ja immer so in der Politik etwas, ich glaube, so Zielorientierung und Lösungen wäre so ein nächstes Stichwort. Also nicht nur zu überlegen, was geht nicht, sondern was geht. 

Reden wir nicht über Probleme – zeigt mir Lösungen!

Ralf Lottermann: Ja, das ist auch ein Thema in meinem Wahlkampf gewesen. Ich habe natürlich auch, wenn ich in den USA gelebt habe oder in Singapur, immer verfolgt, was in Worms passiert ist. Ich habe die Wormser Zeitung gelesen, habe hier meine Connections gehabt und ich habe das immer mitgekriegt. Ich habe in meinem Wahlkampf gesagt: Wir müssen, wenn wir Projekte bearbeiten, wenn ein Bauträger zur Bauverwaltung, mal nur als Beispiel, kommt, dann müssen wir dort ihm helfen, eine Lösung zu finden und ihm nicht nur eine Antwort auf seine Frage zu geben. Denn die Antwort auf die Frage mag sein, das geht nicht aus dem und dem Grund. Aber das reicht mir nicht. Ich erwarte, das habe ich von meinen Mitarbeitern immer erwartet, wenn wir ein Problem haben, will ich einen Vorschlag, wie wir das Problem lösen. Und ich will nicht eine Antwort, warum wir das Problem haben. Das interessiert mich nicht. Sondern ich möchte wissen, wie wir das lösen. Und diese Lösungsorientiertheit, die erwarte ich eigentlich auch in allen Bereichen von der Stadtverwaltung, dass wir wirklich mit Mut nach Lösungen suchen. Und wenn eben ein Antrag gestellt wird, dann möchte ich nicht hören, der geht so nicht, sondern ich möchte hören, das können wir so nicht umsetzen, aber mit den und den Punkten, wenn wir die ändern, dann können wir fast sogar 90 % von dem erreichen, was ihr erreichen wollt. Das ist ein grundsätzlicher Ansatz, der halt da reingebracht werden muss. Und das versuchen wir, aber das ist nicht einfach. Das ist nicht einfach. Das geht nur durch Führung und durch klare Vorgaben und Richtlinien, wie man sowas umsetzt. 

Führung und klare Vorgaben

Leif Neugebohrn: Natürlich gegenüber einer Verwaltung ist Führung natürlich möglich oder gegenüber Ministerien dann in der Landes- und Bundespolitik. Aber das Problem ist besonders massiv ja auch in der Politik selber. Und da ist halt immer die Frage, wie man das da übersetzt. Also das ist halt mit viel Überzeugungsarbeit verbunden. Dicke Bretter bohren, sagt man ja immer so schön. Weil sonst läuft man, glaube ich, schnell vor eine Wand. Ich glaube, das können wir nachher noch mal so über diese Erfahrung, die glaube ich viele aus der Wirtschaft machen, in der Politik noch mal reden. Ich habe noch so ein paar Stichworte mir aufgeschrieben, die ich gerade auf diesen Bezug von Wirtschaft und Politik ganz spannend fände. Da wäre so ein Stichwort Kundenorientierung. Also in der Wirtschaft muss man kundenorientiert arbeiten, weil sonst geht man pleite, glaube ich, innerhalb kürzester Zeit. Der Gedanke ist in der Politik häufig nicht so vorhanden. Viele in der Politik haben so den Eindruck, glaube ich, sie überlegen sich halt selber, was man so möchte, und dann gucken sie nach den richtigen Leuten dazu. Wie würdest du das beschreiben? Also Kundenorientierung wäre, glaube ich, ein sehr wichtiger Punkt, den wir erreichen müssten? 

Transparenz, Bürgerbeteiligung, Kundenorientierung

Ralf Lottermann: Ja, das ganze Thema ist für mich extrem wichtig, da geht’s um Transparenz und Bürgerbeteiligung. Das heißt, wir müssen deutlich machen, wenn wir Entscheidungen treffen, wenn wir Projekte, Veränderungen durchziehen, warum wir das machen. Und auf Englisch sagt man „What’s in for me?“. Also was ist für mich drin, das fragen sich die Bürger in der Stadt. Die müssen einfach verstehen, warum wir gewisse Entscheidungen treffen. Und das geht nur, wenn wir sehr transparent sind und wenn wir die Bürger auch so viel wie möglich beteiligen. Das ist auch ein großes Anliegen von uns in unserem Koalitionsplan, dass wir mehr Bürgerbefragung und Bürgerbeteiligung machen. Natürlich müssen die das auch wollen. Und das ist das andere Problem. Wie machen wir das denen schmackhaft? Denn viele sagen, ach, was ihr da oben macht, ich kann sowieso nichts daran ändern. Ich habe keine Lust, mich daran zu beteiligen. Aber das müssen wir schaffen, dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Und dann glaube ich, können wir auch kundenorientierter, bürgerorientierter sein. Das ist, denke ich, ganz wichtig. Auch das Thema, wir müssen halt modern werden. Nur so können wir kundenorientiert sein. Das Problem ist, wenn wir eine Verwaltung haben, die noch zu 80 % mit manuellen Anträgen arbeitet, dann können wir nicht kundenorientiert sein, wenn unsere Kunden zu Hause alles digitalisiert haben. Also wir müssen sehen, dass wir uns wirklich da auf dem gleichen Level bewegen und eine moderne Verwaltung haben, die wirklich die Bedürfnisse der Bevölkerung auch abdecken kann. Das können wir zum großen Teil heute noch gar nicht. 

Leif Neugebohrn: Lass uns den Blick auf Landes- und Bundespolitik noch mal richten. Weil das ist, glaube ich, auch für die Hörer noch mal auch ganz spannend, weil das sie ja selber erleben, also viele sind natürlich nicht in Worms. Hast du den Eindruck, dass so auf dem Level Politik mit einer gewissen Kundenorientierung gemacht wird? Oder wie fühlt sich das für dich an? 

Ralf Lottermann: Ich glaube, leider Gottes ist es so, dass die Kundenorientierung, wenn du das so nennen willst, am besten gemacht wird von den Populisten, von der AfD. Weil die sagen einfach das, was sie hören, und sagen, das wollen wir, das machen wir, ohne zu reflektieren, ob das a) ethisch ist, b) machbar, c) finanzierbar oder d) rechtlich überhaupt möglich. Also das ist keine Kundenorientiertheit, wenn ich einfach sage, ich mach das, was du willst. In einer repräsentativen Demokratie müssen die Politiker auch Verantwortung übernehmen und auch die ein oder andere Entscheidung treffen, die eben vielleicht nicht von allen für gut befunden wird, aber weil sie für das große Ganze richtig sind. Und wir haben da auch das Problem, dass wir da vielleicht nicht transparent genug sind und vielleicht nicht genug erläutern, warum wir was machen in der großen Politik. Also die Kundenorientiertheit, ich nenne das mal nicht Kundenorientiertheit, das ist eigentlich ein Wort, was mir nicht gefällt, dass ich die Bürger mitnehme, dass ich die Bevölkerung mitnehme, damit die verstehen, warum wir das machen. Und dann werde ich auch wiedergewählt. Das ist im Unternehmen ganz genauso. Ich muss die Mitarbeiter mitnehmen, ich muss die Kunden auf meine Seite ziehen, dass die auch meine Produkte wieder kaufen und immer wieder kaufen. Aber dafür brauche ich eben überzeugende Produkte, überzeugende Konzepte und das ist in der Politik ganz genauso. Und die muss ich transparent machen, dass die Leute verstehen, warum wollen wir das. Und da ist noch einiges zu tun von den etablierten Parteien, glaube ich. 

Über Populismus

Leif Neugebohrn: Ich finde diesen Stichpunkt der Populisten extrem spannend. Das ist etwas, über was ich auch immer wieder viel spreche und auch diskutieren muss. Weil es gibt viele, die sagen, also wenn man sich jetzt erst mal damit auseinandersetzt, was ist eigentlich das, was die Menschen interessiert, was wollen die, dass man dann sehr schnell populistisch werden würde? Und ich habe da immer so eine Gegenüberstellung, die das, glaube ich, sehr deutlichmacht, wo es aufhört, wenn man gesund sich auf die Wünsche und die Interessen und die Fragen der Bürgerinnen und Bürger bezieht. Also wenn man hergeht und schaut, was sind die Fragen, die Sorgen, die Wünsche, die Nöte, die Bedürfnisse der Menschen, und dann darauf die eigenen Antworten entwickelt, das ist in meinen Augen eine gute Politik. Wenn man hingeht, die Fragen, Sorgen, Nöte und Bedürfnisse und Wünsche der Menschen aufgreift und die Antworten an deren Meinung anpasst, dann sind wir beim Populismus. Was wir aber leider momentan haben, ist häufig, dass eben von den demokratischen Parteien keins von beidem gemacht wird, sondern eher, dass sie ihre Inhalte haben und ihre Themen vor allem haben, und sich danach erst mal überlegen, wie finden wir da jetzt die passenden Menschen dazu? Ich glaube, die Themen sollte man sich immer nicht vorgeben lassen, aber man sollte sich daran orientieren, was für die Menschen gerade wichtig ist, aber dann die eigenen Antworten da drauf suchen. Und dann ist man nicht populistisch. 

Was ist relevant für unsere Kunden?

Ralf Lottermann: Ja, ich denke, da hast du sehr recht. Auch parallel zur Wirtschaft, man muss sich immer fragen, was ist relevant für unsere Kunden? Es geht nicht darum, dass ich ein Produkt habe und sage, so, jetzt suche ich die Kunden dafür, sondern ich muss wirklich sehen, wo sind die Bedürfnisse und was ist relevant, und darauf muss ich Antworten finden. Und das muss man in der Politik ganz genauso machen. 

Leif Neugebohrn: Ich habe noch ein letztes großes Stichwort, was mir so ein bisschen auf der Seele brennt, weil ich das halt sehr häufig erlebt habe in den letzten Jahren. Für mich als Selbstständiger und jetzt als Unternehmer war immer klar, ich muss investieren, um bestimmte Sachen erreichen zu können, sowohl Zeit, aber auch finanziell. Das ist eine ganz wichtige Basis. Und was ich häufig in der Politik erlebe, ist, dass dieser Wille zu Investitionen extrem klein ist. Und das liegt häufig gar nicht mal da dran, dass Zeit und Geld nicht vorhanden sind, sondern dass es da einfach überhaupt keine Investitionskultur gibt. Ich mach mal ein kleines Beispiel. Ich kenne diverse Bundestags- und Landtagsabgeordnete, die gerne mehr in dem ganzen wichtigen Bereich Online-Marketing machen würden, und dann stelle ich ihnen ein bestimmtes Tool, ein bestimmtes Werkzeug vor, was ihnen das wahnsinnig vereinfachen würde, und dann hören sie, das Ding kostet irgendwie 100 Euro im Monat und dann sind sie sofort raus. Obwohl das finanziell kein Problem sein sollte. Aber das ist einfach nicht in deren Horizont, dass man da jetzt so viel Geld für eine Software ausgibt. Und das ist aber im Unternehmensbereich selbstverständlich, dass man das machen muss, dass man seine Werkzeuge braucht. Ich würde mir tatsächlich so eine Kultur des Investierens, um etwas zu erreichen, in der Politik mehr wünschen, und zwar sowohl finanziell als auch inhaltlich. Und zwar auch sowohl auf der organisatorischen als auch auf der inhaltlichen Ebene. Das wäre so für mich ein Anliegen. Wie hast du das bisher erlebt? Also du hast ja jetzt deine ganz eigenen Erfahrungen gemacht in dem Bereich. Also du hast ja investiert, aber das war, glaube ich, für viele doch sehr überraschend, dass du das gemacht hast. 

Politik und Investitionen

Ralf Lottermann: Ja, ich habe investiert. Und bei Investitionen geht’s ja immer darum, wie ist der Return, was kommt dabei raus und wann? Also insofern kann man bei der Politik da schon darüber nachdenken, und das, denke ich, tun wir auch zum Teil, zum großen Teil sogar. Wir haben natürlich auch die Aufgabe der Daseinsvorsorge. Das heißt, wir haben sehr viele Dinge zu tun, weil wir das einfach tun müssen, was jetzt sozialpolitische, schulpolitische Dinge angeht. Aber es gibt auch viele Sachen, wo man mit Weitblick investieren kann. Und eine Investition, die läuft eben über längere Jahre und dann kommt irgendwann der Return. Ich gebe mal ein Beispiel, was wir im Moment gerade machen. Wir sind gerade dabei, das habe ich auch in meinem Wahlkampf drinstehen gehabt, in Worms eine neue Gründerkultur, ein Gründerzentrum zu schaffen. Und das wird am Anfang, die ersten drei Jahre wahrscheinlich, nur Geld kosten. Aber wir erwarten, dass wir in Worms dann junge Unternehmen, Start-ups bekommen, die erfolgreich sind, die dann hierbleiben, die Arbeitsplätze generieren, die Gewerbesteuer bezahlen, die einkaufen hier in Worms, das erwarten wir, das hoffen wir, dass das funktioniert. Und das ist ein Projekt, wo wir gerade dran arbeiten. Und das ist ganz typisch eine Investition in die Zukunft, weil die ersten Jahre wird da kaum eine Mark zurückkommen, aber Ausgaben folgen. Und ich glaube, mit solchen Projekten, und die können wir auch transparent der Bevölkerung erläutern, da kann man eine Investitionskultur schaffen auch in der Politik. Wir müssen uns immer überlegen, was muss ich in die Hand nehmen, um einen sinnvollen Ertrag in der Zukunft zu bekommen? Und da gibt’s bestimmt noch viel mehr Beispiele, wo man da so etwas machen kann. Digitalisierung ist ein anderer, was du vorhin gesagt hast. Das wird auch am Anfang erst mal Geld kosten. Und da wird man nicht Rieseneinsparungen haben, aber wir werden vielleicht eine enorm große Kundenzufriedenheit haben, wenn wir wirklich viele Anträge, viele Bürgeranfragen digital machen können. Das sind Dinge, die muss man sich halt mal überlegen. Aber ich glaube, Möglichkeiten gibt’s da genug in der Politik. 

Leif Neugebohrn: Absolut, ja! Das Beispiel mit dem Gründer, mit der Gründerkultur in Worms zeigt natürlich auch wieder ein strategisches Denken. Das muss irgendwie alles immer ineinandergreifen. Ich habe zum Schluss noch drei Fragen. Das eine wäre. Ich habe häufig erlebt, dass Menschen aus der Wirtschaft mit großem Trara in die Politik gestartet sind und dann zum Beispiel Schatten-Wirtschaftsminister auf Bundesebene geworden sind und sich da ganz viel versprochen haben draus. Und die sind alle innerhalb kürzester Zeit immer wieder weg gewesen oder halt letztlich gescheitert. Was glaubst du, warum haben es Quereinsteiger aus der Wirtschaft in der Politik so enorm schwer? Und warum scheitern die dann trotzdem auch so oft, obwohl sie ja diese Erfahrungen, diese Kompetenzen haben? 

Warum politische Quereinsteiger aus der Wirtschaft oft scheitern

Ralf Lottermann: Weil es eben verdammt hart ist. Ich meine, die Frustrationen, die ich erlebe, wenn ich in der Stadtratssitzung sitze und mir Redebeiträge von gewissen Parteien am rechten Rande anhöre, dann braucht man schon gute Nerven, um das durchzustehen. Das ist nur ein Beispiel. Es ist auch nicht einfach, in einer Fraktion einfach seine Ideen durchzusetzen. Wir demokratische Parteien, da brauchen wir Mehrheiten. Und das ist eben nicht so wie in der Wirtschaft, dass dann eben der Chef, the General Manager sagt, alles klar, ich habe euch gehört und das machen wir. Wir brauchen Mehrheiten. Das ist etwas, was man wirklich verinnerlichen muss und damit muss man umgehen. Und ich glaube, das ist für viele Leute aus der Wirtschaft, wo es wirklich mehr noch, ich nenne es mal wie bei der Bundeswehr, Befehl und Gehorsam, im Endeffekt muss man die Leute auch mitnehmen und kann nicht nur durch Befehle irgendwas erreichen. Aber wenn ich in einer Management-Sitzung war bei uns und wir haben ein Thema diskutiert, und das haben wir dann gut vorbereitet natürlich, 20 Minuten diskutiert, und da wurden unterschiedliche Meinungen dazu geäußert. Am Schluss habe ich dann immer gesagt: Ich habe gehört, was ihr alle meint. Ich habe mir das überlegt und abgewogen. Und das ist, was wir tun. Und habe die Entscheidung getroffen. Das geht in der Politik so einfach nicht. Und das muss man erst mal lernen und verinnerlichen und damit umgehen. Ich glaube, das geht, aber es ist schon ein Unterschied, ob man jetzt in einer Fraktion im Stadtrat oder im Bundestag arbeitet oder ob man ein Unternehmen führt. 

Leif Neugebohrn: Ja, das kann ich mir vorstellen, das ist auch eine gigantische Umstellung, die man da am Ende hat. 

Ralf Lottermann: Und was ich auch noch sagen muss, ist natürlich die Qualität der Leute. Im Unternehmen suchst du dir aus, wen du einstellst, nach deinen Kriterien, nach deinen Bedürfnissen. In der Politik sind die Leute gewählt, und da musst du eben mit denen arbeiten, die da sind. Und manche sind richtig gut und das macht richtig Spaß, und manch andere, die machen gar nichts, und andere, die schießen nur quer. Damit muss man umgehen. Und das ist in der Wirtschaft total anders. Da weiß ich genau, wie ich mit solchen Leuten umgehen muss. Aber in der Politik ist das eine ganz andere Kiste. Und für manche ist das einfach nicht erträglich. Und deswegen kann ich schon verstehen, dass viele irgendwann den Löffel wieder abgeben. 

Unternehmer und Sozialdemokrat – wie passt das?

Leif Neugebohrn: Ja, das glaube ich. Ich habe ja unseren Wahlkampf als Case auch immer mal wieder vorgestellt und neben der Frage, warum will der Mensch unbedingt in den Rat kam eine Frage immer wieder, und die hieß: Der ist irgendwie Unternehmer und Manager und so, und der ist Sozialdemokrat? Was sagst du da drauf? 

Ralf Lottermann: Ich habe auch in Facebook, das hast du ja teilweise auch gesehen damals im Wahlkampf, da haben ja eine ganze Menge Leute geschrieben, super Kandidat, leider in der falschen Partei. Also das Feedback habe ich natürlich ganz oft bekommen. Und was soll ich dazu sagen? Ich finde, es sollten noch viel mehr Unternehmer Sozialdemokraten sein, weil das schließt sich ganz und gar nicht aus. Als Sozialdemokrat hat man ein soziales Gewissen und das soziale Gewissen heißt, man denkt an seine Mitarbeiter, an die Familien, die dahinterstehen, die abhängig sind vom Gehalt. Und trotzdem muss man natürlich ein Unternehmen erfolgreich führen. Nicht nur, weil man Dividenden erwirtschaften muss, sondern ein erfolgreiches Unternehmen heißt auch sichere Arbeitsplätze, das heißt auch Wachstum. Das heißt auch, dass eine gewisse Prosperität für die Gegend, wo wir leben, wo wir die Unternehmenssitze haben, schaffen können. Insofern denke ich, ist das überhaupt kein Widerspruch, dass man ein erfolgreiches Unternehmen führt mit hochmotivierten Mitarbeitern, tollen Produkten und Sozialdemokrat ist. Ich habe das über all die Jahre gemacht. Und ich habe teilweise auch harte Entscheidungen treffen müssen. Es ist eben halt nicht so, dass man als Sozialdemokrat nicht auch mal Entlassungen machen muss, die notwendig sind. Ist die Frage, wie man das macht, wie man mit Problemen umgeht, wie man mit den Mitarbeitern umgeht, und dann kann man sehr wohl ein guter Manager sein und ein guter Sozialdemokrat. Ich glaube, ich habe das bewiesen. 

Leif Neugebohrn: Ja, sehr interessant. Vielleicht ganz am Rande die Anmerkung, weil das ist ja hier auch der Podcast von uns als Agentur, wir sind natürlich trotz allem immer überparteilich aufgestellt, das heißt, wir gucken bei unseren Kunden sehr stark, was sind ihre Werte und was sind ihre Ideen, und entscheiden danach, ob wir mit ihnen zusammenarbeiten. Aber ich finde es natürlich super, dass du da so ein ganz klares Wertekorsett, auch Wertekostüm hast, mit dem du arbeitest. Das finde ich schon gut. 

Ralf Lottermann: Anders kann man auch nicht erfolgreich sein. Weißt du, der knallharte Manager, der kann vielleicht mal einen kurzfristigen Erfolg haben, aber auf lange Sicht hast du nur Erfolg, wenn deine Mitarbeiter mitziehen, wenn du für sie einstehst und die für dich einstehen. Und das geht eben nicht, wenn du nur der knallharte Kerl bist. Sondern du musst auch jemand sein, der sich kümmert, der für die Mitarbeiter da ist, und das wissen die auch. Und dann kannst du auch Erfolg haben. 

Ein konkreter Rat für Kandidatinnen und Kandidaten für den Wahlkampf

Leif Neugebohrn: Danke dir! Zum Schluss eine ganz knackige Frage. Wir haben ja gerade mehrere Wahlkämpfe, die anlaufen in Deutschland, vor allem die Bundestagswahl. Was würdest du Kandidatinnen und Kandidaten als Rat mitgeben? 

Ralf Lottermann: Da gibt’s einen Rat, den würde ich jeden wirklich bitten zu beherzigen. Ihr müsst euch ganz kristallklar überlegen: Warum sollen die Leute mich wählen? Was macht mich aus? Warum bin ich anders als die anderen Kandidaten? Das können die verschiedensten Aspekte sein aus Beruf oder aus dem privaten Bereich, wo man einfach sagt: Was macht mich aus und was ist relevant für die potenziellen Wähler? Und das muss man dann in eine Botschaft packen und die konsequent kommunizieren und glaubhaft und authentisch kommunizieren. In meinem Fall war das: Ein erfolgreicher Manager will sich in die Politik einbringen und möchte in der Politik die Art und Weise, wie gearbeitet wird, verändern. Und diese Geschichte mit meinem Hintergrund, die konnte ich sehr glaubhaft kommunizieren. Dass ich erfolgreich war, dass ich weiß, wie ein Unternehmen arbeitet, und das will ich jetzt einbringen. Und dann war mein Slogan „Die Politik in Worms verändern“ und habe eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht, was man alles andersmachen kann in meinem Wahlkampf. Und wisst ihr was? Die Leute haben das geglaubt. Und mich haben ganz viele Leute gewählt aus allen Bevölkerungsgruppen in allen Stadtteilen in Worms, weil die genau diese Geschichte geglaubt haben. Also um die Frage von Leif zu beantworten: Überlegt euch, was macht euch aus und bringt das glaubwürdig rüber. 

Leif Neugebohrn: Vielen Dank! Sehr spannend! Damit sind wir für heute auf jeden Fall schon mal am Ende dieser Ausgabe angelangt. Danke dir für das Gespräch! Das wird nicht unser letztes hier auf diesem Kanal gewesen sein. Wir haben im Moment so erst mal grob angepeilt, dass wir das mindestens einmal im Monat zusammen hier fortführen wollen und dann über ganz viele Themen auch aus dem Bereich Management und Business und Wirtschaft zu sprechen, aber natürlich auch über Politik. Ich würde sagen, erst mal vielen Dank, Ralf! Das hat großen Spaß gemacht. 

Ralf Lottermann: Danke, Leif! War mein erster Podcast meines Lebens und hat mir auch Spaß gemacht. Super! Danke! 

Leif Neugebohrn: Danke dir! Wenn euch das auch Spaß gemacht hat beim Zuhören, dann, wenn ihr es nicht schon längst gemacht habt, lasst uns auf jeden Fall ein Abo da und sprecht über den Podcast, teilt ihn, zeigt ihn anderen Leuten, die den vielleicht auch interessant finden können. Und dann seid ihr auf jeden Fall spätestens in den nächsten Tagen wieder mit der nächsten Ausgabe mit dabei. Und da freue ich mich sehr darauf. Bis dahin erstmal! Tschüss! 

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